Wo der gute Geschmack zu Hause ist: die toskanische Provinz Arezzo
Das Jahr 2018 wurde von Italiens Landwirtschaftsministerium sowie dem Ministerium für Kultur und Tourismus zum Jahr des Essens erklärt, um die Verbindung von Essen, Kultur und Landschaft deutlich herauszustellen – eine Symbiose, die sich in der Toskana hervorragend erleben lässt. Der Landstrich mit seiner Bilderbuchidylle aus grünen Hügeln, von Zypressen gesäumten Alleen und einsamen Dörfern fasziniert Urlauber immer wieder aufs Neue. Manche so stark, dass sie mit dem Gedanken spielen, sich selbst hier in der Region niederzulassen oder zumindest eine Ferienresidenz zu verwirklichen. Neben der Landschaft verfügt die Toskana auch in kulinarischer Hinsicht über eine starke Anziehungskraft. Der Chianti gehört weltweit zu den bekanntesten Weinen und das wohl größte domestizierte Rind der Welt stammt ebenfalls von hier: Das weiße Chianina-Rind.
Die Toskana ist seit Jahrzehnten das Traum(reise-)ziel vieler Deutscher, und unter den Händen der sogenannten „Toskana-Fraktion“ verwandelten sich seit den 1960er Jahren viele alte und verlassene Bauernhöfe in private Ferienhäuser. Diese boten Raum, sich in den Urlaubswochen als Hobby-Winzer zu versuchen und alten Rebstöcken mehr oder weniger erfolgreich neues Leben einzuhauchen oder um Olivenbäume für die Produktion von eigenem Öl zu kultivieren. Alles unter den wachsamen Augen der ortsansässigen Italiener, denen diese offensichtliche Liebe zu ihrem Landstrich und die Bereitschaft, dafür auch noch Geld in die Hand zu nehmen, manchmal etwas seltsam vorkam. Sie selbst waren von ihrer Heimat weniger beeindruckt, wussten sie doch von den Schwierigkeiten und harten Bedingungen, wenn es darum ging, mit der Landwirtschaft ein Auskommen für die ganze Familie zu erzielen. Ein Übriges verursachte der weltweite Strukturwandel in der Agrarwirtschaft, von dem auch Italien nicht verschont wurde. Etliche kleine Bauern blieben auf der Strecke und die Veräußerung der ererbten Höfe oft die letzte Möglichkeit, wenigstens einen Teil des Erbes zu retten. Noch dazu in der Provinz Arezzo, die im östlichen Teil der Toskana liegt und somit von allen Provinzen am weitesten vom Meer entfernt ist. Nicht eben die klassische Lage, um zahlende Touristen in Massen anzulocken. Doch das ist lange her, und mittlerweile schätzen auch die Italiener nicht nur die küstennahen Gebiete, sondern ebenfalls das Herz der Toskana als Ferienregion.
Das vielerorts erfolgreiche Konzept des Agriturismo hat hier Fuß gefasst und neue Perspektiven für landwirtschaftliche Betriebe ergeben. Zudem ist die Toskana eine Region, die mit kulinarischen Pfunden wuchern kann. So entwickelten sich Ideen, um die Verbindung von Küche, Produkten und Landschaft aufzuzeigen und über die Landesgrenzen hinaus bekannt zu machen. Verknüpft mit dem Ziel, dem Verbraucher aufzuzeigen, dass auch eine industriell geprägte Landwirtschaft auf den Erfahrungsschatz vergangener Generationen zurückgreift. Sei es in Gestalt des Schafhalters, dem es gelungen ist, vom kleinen Bauern zum modernen Agrarunternehmer aufzusteigen, dessen erzeugter Pecorino in aller Welt verkauft und der vom Konsumenten trotzdem eher als kleinbäuerlich wahrgenommen wird. Oder wie die „Fattoria di Rimaggio“ von Paolo Calvo, die in den 1950er Jahren einen radikalen Umbau von einem kleinbäuerlichen Familienbetrieb zur großen Hazienda verkraften musste, um wirtschaftlich überleben zu können. Und zwar nicht durch Spezialisierung auf nur einige wenige Produktionszweige, wie es andernorts üblich war und immer noch ist. Auch eine Umstellung auf „Bio“ war zu dieser Zeit noch kein Thema. Die Fattoria hat sich zu einem breit aufgestellten Agrarunternehmen mit hochtechnisierten Strukturen entwickelt, sich aber weiterhin den Charme des kleinen, überschaubaren Familienbetriebs erhalten. Von diesen Beispielen gibt es gerade in der Toskana einige zu entdecken. Es steckt ein kluges, politisch unterstütztes Marketing-Konzept dahinter, das aufzugehen scheint – ob als Wachstumsmotor für den Tourismus oder für die Akzeptanz von industrieller Landwirtschaft.
Stolz zeigt Paolo Calvo FIRE&FOOD den neu gebauten Schweinestall
Die Milch der Wasserbüffelkühe wird für die Mozarellaproduktion benötigt
Paolo Calvo: Landgutbesitzer und Visionär in vierter Generation
Dem Traum vom eigenen Landgut in der Toskana ist auch Sternekoch René Kalobius schon längere Zeit erlegen. In diesem Jahr hat er der hochdekorierten Gourmetküche den Rücken gekehrt, um sich voll und ganz dem Olivenanbau zu widmen. Das macht er sehr erfolgreich, auf sein Olivenöl schwören Feinschmecker und Kollegen gleichermaßen. Zudem bietet er vor Ort Barbecue-Kurse an, die sich mit Ausflügen in die Region zu einer mehrtägigen, genussvollen Auszeit verbinden lassen. Kalobius ist gut vernetzt, über ihn treffen wir Paolo Calvo, der das Familienerbe als erfolgreicher Visionär zu beeindruckender Größe geführt hat. Die Fattoria di Rimaggio ist ein wichtiger Arbeitgeber für die Kommunen Pergine Vadarna und Laterina. Das Hauptaugenmerk liegt auf der Viehzucht, sowohl zur Fleisch- wie auch zur Milchgewinnung. Darauf aufgebaut wurde eine erfolgreiche Direktvermarktung: Angefangen von der Verwertung beziehungsweise Weiterverarbeitung der erzeugten Produkte bis zum Verkauf in eigenen Geschäften. Es ist ein nahezu geschlossener Kreislauf und die Futtermittel werden auf dem dazugehörigen Land angebaut. Im Gespräch macht Calvo deutlich, dass diese Struktur für ihn wichtige Voraussetzung ist, um maximale Kontrolle über das Wohlergehen seiner Tiere und alle weiteren Produktionsschritte zu haben, was sich besonders in der erzielten hohen Fleischqualität auswirkt, für die die Fattoria in der Umgebung bekannt ist, und von der auch Kalobius schwärmt. Vor allen Dingen ist die Bandbreite des Fleischangebots interessant, im Schnitt werden etwa 250 Kälber unterschiedlicher Rassen gehalten.
Kräftige Aubrac Rinder, welche aus Frankreich importiert werden
Zum einen natürlich – das ist schon der Tradition geschuldet – das weiße Chianina-Rind, das ursprünglich aus dem Chiana-Tal stammt und zu über 90 Prozent nur in der Toskana gezüchtet wird. Hier ist es bestens an die Klimabedingungen angepasst. Es gilt als das größte domestizierte Rind der Welt – ein ausgewachsener Bulle kann bis zu 1.800 Kilogramm wiegen. Die weißen Riesen sind äußerst gutmütige Tiere und die von ihnen gelieferten Fleischqualitäten in Mittelitalien stark nachgefragt. Hier ist das edle Fleisch untrennbar mit dem berühmten „Bistecca alla Fiorentina“, einer Art T-Bone-Steak, verknüpft. Es zählt zu den besten Rindfleischsorten und hat seinen Preis. Das Chianina-Rind wurde bereits vor etwa 2300 Jahren von den Etruskern gezüchtet, die die Tiere als kräftige Arbeits- und Transporttiere zu schätzen wussten.
Elmar Fetscher, Gilla, Paolo Calvo
Zu dieser heimischen Rinderrasse gesellen sich in der Fattoria französische Fleischrinder wie Charolais, Aubrac und Limousin. „Die Kälber kaufe ich direkt in Frankreich mit einem Durchschnittsgewicht von etwa 350 Kilogramm, das ist der einzige längere Transport, den ich den Tieren in ihrem Leben zumute. Natürlich könnte ich die Kälber auch in Italien oder Deutschland kaufen, aber ich bin davon überzeugt, dass ich die beste Qualität nur in Frankreich bekomme“, erläutert uns Paolo Calvo sein Vorgehen. Die Kälber werden auf dem Landgut in homogene Gruppen unterteilt und für eine gewisse Quarantänezeit in getrennten Räumen untergebracht. Während dieser Phase werden sie nur mit Heu aus eigener Produktion gefüttert. Danach beginnt die Mast, in der die Heuration jeweils der Gewichtsentwicklung angepasst wird. Nach etwa acht Monaten haben die Rinder ein Lebendgewicht von 650 bis 700 Kilogramm erreicht, dann werden sie im hofeigenen Schlachthaus geschlachtet und mit dem CE-Stempel zertifiziert. Calvo führt uns sichtlich stolz durch die Ställe. Für einen konventionellen Mastbetrieb sind die Haltungsbedingungen der Tiere mit offenen Ställen, viel Licht und viel Luft sehr ansprechend und die Tiere machen alle einen sauberen, gesunden Eindruck. Man merkt, dass Calvo ein respektvoller Umgang mit den Tieren wichtig ist, sie sind wertvolles Kapital für ihn.
Denn die hervorragende Fleischqualität wird von den Verbrauchern aus der näheren Umgebung honoriert, auf den regionalen Absatzmarkt kann er sich verlassen. Dadurch ist der Landwirt nicht gezwungen, die Tiere über Zwischenschritte wie Großmärkte etc. zu vermarkten. Ein Zustand, den wir uns auch für unsere heimischen Mäster wünschen würden, weil er sich sichtbar auf das Tierwohl und auf die Produktqualität auswirkt. Auch Schafe, Büffel, Schweine, Kaninchen und Geflügel gehören zum Tierbestand und dürfen unter den gleichen Bedingungen aufwachsen – Kriterium ist immer der Anspruch, am Schluss die bestmögliche Produktqualität zu erreichen und für die 11 eigenen Verkaufsstellen ein vielfältiges Angebot zu schaffen. Dazu gehört auch die Kultivierung von eigenen Weinreben und Olivenhainen. Eine gute Art, die toskanische Lebensweise zu erhalten!
Großzügige Stallungen
Die Milchkühe stehen in einem gut belüfteten Stall
Die Futtermischanlage
Futteranbau gleich neben der Fattoria
Bistecca alla fiorentina –
Der toskanische Genuss mit Weltruf
Das Bistecca alla Fiorentina vom Chianina- Rind wird gerne als „weltbestes Steak“ bezeichnet. Bei solchen Superlativen ist aber immer eine gesunde Skepsis angebracht, denn schließlich ist alles eine Frage des persönlichen Geschmacks. Da das Chianina-Rind ein schnellwachsendes Tier ist und dadurch nicht viel Fett in den Muskeln einlagert, ist es geschmacklich und vom Biss her nicht unbedingt mit anderen „weltbesten“ Steaks vergleichbar, denkt man beispielsweise an US-Beef oder Kobe- Rind. Aber das muss es auch nicht, wie René Kalobius erläutert: „Das Bistecca alla Fiorentina vom Chianina-Rind ist ein Klassiker aus der Toskana mit Roastbeef- und Filetanteil – ein Porterhouse der ganz besonderen Art. Für viele, ganz besonders hier in der Toskana, gilt es als das beste Steak der Welt. Ich sehe das aber etwas differenzierter. Es ist schon etwas Besonderes, so ein Bistecca alla Fiorentina, aber es ist für mich nicht das beste Steak der Welt. Es ist jedoch auf jeden Fall ein „Must have“ für jeden, der die Toskana besucht. Ein lohnender Genuss, und auch für mich immer wieder etwas Besonderes – das Bistecca alla Fiorentina vom größtem und ältesten Rind der Welt.“
Rene mit einem mächtigen Chianina-T-Bone, welches Metzgermeister Marco Giusti zurechtgeschnitten hat.
Rezept für Bistecca alla fiorentina und Orangen-Fenchel-Salat mit Honig-Senf-Vinaigrette von René Kalobius
Zutaten:
• 1 Porterhouse oder T-Bone vom Chianina-Rind,
ca. 1.600 g
• Olivenöl (am besten meins)
• Maldon-Salz
• Pfeffer aus der Mühle
Für den Orangen-Fenchel-Salat:
• 2 große Fenchelknollen
• 2 Bio-Orangen
• 3 - 4 Stiele glatte Petersilie
• 4 EL Limonensaft
• 2 EL grober Senf
• 2 EL Akazienhonig
• 5 EL Olivenöl Extra Vergine (am besten meins)
• Salz, Pfeffer, Zucker
Zubereitung:
Das Steak mit Olivenöl einreiben und leicht mit Meldon-Salz salzen. Den Grill auf ca. 55-60 °C
vorheizen und das Steak für etwa 1 Stunde mit dem Knochen senkrecht in den Grill stellen. Anschließend in Alufolie wickeln und warmhalten. Den Grill auf 250 °C hochheizen und das Fleisch von beiden Seiten nochmals für etwa 2 Minuten grillen. Das Fleisch vom Grill nehmen und für 5 Minuten ruhen lassen. Anschließend vom Knochen lösen und auftranchieren. Mit etwas Meldon-Salz und frisch gemahlenem Pfeffer nachwürzen und mit Olivenöl Extra Vergine servieren. Für den Salat den Fenchel halbieren und den Strunk entfernen. Anschließend in feine Streifen schneiden und mit Salz und Zucker leicht massieren, um die Zellstruktur aufzubrechen. Das sorgt dafür, dass der Fenchel schön zart wird. Die Orangen so schälen, dass die weiße Haut vollständig entfernt wird. Filets zwischen den Trennhäuten herauslösen und den Saft dabei auffangen. Die Petersilie waschen und trocken schütteln, anschließend die Blätter und einen Teil der Stiele kleinschneiden. Den Limonensaft, Senf und Honig in eine Schüssel geben und verrühren. Mit Salz und Pfeffer abschmecken und danach das Olivenöl langsam unterrühren damit eine Emulsion entsteht. Den Fenchel in ein Sieb geben, damit das ausgetretene Wasser entfernt wird. Dann den Fenchel mit dem Dressing gut vermischen und die Orangenfilets unterheben. Ca. 20 Minuten ziehen lassen und zusammen mit dem Bistecca alla Fiorentina servieren.
TIPP von René Kalobius: „Ich bereite mein Bistecca gerne mit der Rückwärts-Garmethode zu und bevorzuge die Stücke ohne Filet. Ich bin selbst nicht so der große Filetfan und vermeide dadurch gleichzeitg das Problem mit den zwei unterschiedlichen Fleischsorten – Filet und Rücken.“