Freilandhähnchen aus dem Ambergau: Glückliche Weidehühner
Nina Klingemann und Ruven Mahnkopf lieben Tiere – und essen gerne Fleisch. Was für manche ein Widerspruch ist, ist für die beiden bekennenden Jäger ein Auftrag mit Anspruch. Wenn schon Fleisch, dann soll das Tier bis zum Ende ein artgerechtes und möglichst stressfreies Leben haben. „Raus ins Grüne“ heißt es für ihre Masthähnchen, die in einem mobilen Stall leben. Wie das Konzept genau funktioniert, haben wir uns in dem kleinen Ort Schlewecke im südöstlichen Niedersachsen angeschaut. – Von Stephanie Prenzler
Frau Grete hatt’ ein braves Huhn,
das wußte seine Pflicht zu tun.
Es kratzte hinten, pickte vorn,
fand hier ein Würmchen, da ein Korn…
(Wilhelm Busch)
Wilhelm Busch würde wohl seine Freude haben, wenn er den Weidehühnern von Nina und Ruven zuschauen könnte. Nicht weit von hier, im Pfarrhaus in Mechtshausen, hat der humoristische Dichter und Zeichner seine letzten Jahre verbracht – und Schlewecke, ein Ortsteil der Stadt Bockenem im Harzer Vorland, wirkt mit seinen schmucken Fachwerk- und Backsteinhäuschen, als ob das 19. Jahrhundert gerade erst vorüber wäre. Gar nicht historisch wirkt hingegen der moderne Mobilstall von Nina Klingemann und Ruven Mahnkopf. Beide sind von Kindesbeinen an mit der Landwirtschaft verwurzelt und setzen sich mit ihrem Mobilstall – zunächst im Nebenerwerb – für eine naturnahe und tiergerechte Haltung von Masthähnchen ein. Während diese Art der Stallhaltung für die Eierproduktion bereits etabliert ist, haben Nina und Ruven in der Region mit ihrem Fokus auf die Fleischgewinnung eine Marktlücke geschlossen. Bei ihren Hähnchen handelt es sich um Ranger Gold – eine robuste und langsam wachsende Freilandrasse. Diese Tiere sind gute Futterverwerter und besitzen eine sehr ausgeprägte Brust, die 700 bis 800 g auf die Waage bringt, und dazu ausgeprägte Schenkel, die in der Lage sind, das Gewicht tragen zu können.
Außerdem sind Ranger Gold-Hühner sehr anpassungsfähig und verkraften enorme Temperaturschwankungen – beste Voraussetzungen für ein Aufwachsen im Harzer Vorland. Viele bürokratische Hürden und anspruchsvollen Papierkram mussten die beiden engagierten Junglandwirte bis zur Betriebsgründung im Januar 2022 überwinden. „Es gab keine Schnittstelle, die uns über mehrere Sachlagen wie etwa gesetzliche Vorschriften oder Förderungen gleichzeitig informieren konnte“, erzählt Nina Klingemann. „Wir kamen durch unsere beruflichen Vorkenntnisse ganz gut zurecht. Doch für einen unerfahrenen Landwirt ist das sicherlich nicht so einfach möglich.“ Im Mai 2022 war es dann soweit, die ersten Hühner zogen in den mobilen Stall ein – und bereicherten im Juli mit ihrem Fleisch zum ersten Mal das Angebot des eigenen Hofladens.
Von wegen dummes Huhn
Während wir Verbraucher von Jahr zu Jahr zögerlicher zu Schweine- und Rindfleisch greifen, nimmt der Verzehr von Hähnchenfleisch in Deutschland kontinuierlich zu. Von 2014 bis 2019 stieg der jährliche Verbrauch um 3,8 kg und lag 2019 bei 15,6 kg pro Kopf der Bevölkerung. Ein Ende dieser Entwicklung ist nicht absehbar, wenn man die Zahlen mit dem durchschnittlichen Pro-Kopf-Verbrauch in der EU vergleicht: Dieser lag 2019 bei 20,8 kg*. Das geliebte Federvieh – ob als knuspriges Grillhähnchen oder beschwipstes Coq au vin aus dem Dutch Oven – lässt sich vielfältig zubereiten und schmeckt Jung und Alt. Dazu punktet es mit einem geringen Fettanteil, hochwertigem Eiweiß und wichtigen Vitaminen und Mineralstoffen. Doch überwiegend kommen Hahn und Henne aus der Massentierhaltung. In Deutschland bedeutet das, dass die Tiere in Bodenhaltung auf Einstreu gehalten werden, vorwiegend in geschlossenen Ställen mit Zwangslüftung und ohne Auslauf ins Freie. In einem durchschnittlichen Maststall leben mehrere Tausend Hühner dicht an dicht, 14 bis 26 Tiere teilen sich einen Quadratmeter. Das Futter kommt aus dem Automaten und den Hühnern fehlt oftmals eine weitere Beschäftigungsmöglichkeit. Bei dieser Aufzuchtmethode werden die Tiere vorwiegend in der Kurzmast gehalten und bringen nach 28 bis 30 Lebenstagen etwa 1,5 kg Körpergewicht auf die Waage. Das ist kaum genug Zeit, um den typisch schmackhaften Hähnchengeschmack zu entwickeln, den wir gerade beim Grillen herauskitzeln wollen und lieben.
Anders bei den Weidehühnern von Nina und Ruven. Die beiden Hühnerhalter schätzen ihre Freilandhähnchen als intelligente und soziale Wesen, die untereinander kommunizieren und sogar in der Lage sind, Freundschaften aufzubauen. Es sind gerade diese Eigenschaften und die daraus resultierenden natürlichen Verhaltensweisen, denen sie mit ihrem Mobilstall gerecht werden wollen. Er steht auf einer abgezäunten Grünfläche, die jetzt im Frühling jeden Tag saftiger und für die Hühner attraktiver wird. Neben dem Stall sind auf der Weide weitere Unterstellmöglichkeiten vorhanden. Im Sommer sind Büsche und Bäume wichtig, damit die Tiere bei Bedarf Schatten und Deckung finden. Der Stall selbst wird mit Spänen und Stroh eingestreut, Wasser und Futter ist immer für drei Tage bevorratet. „Wir bekommen die Hühner im Alter von drei Wochen“, erklärt Nina „und in den ersten Tagen geben wir ihnen Zeit, sich untereinander und den Stall kennenzulernen. Diese sanfte Eingewöhnungszeit ist unerlässlich. Es muss erst der Gefiederungsstatus so weit sein, um den Stall beispielsweise bei -10 °C öffnen zu können. Haben sich die Hühner eingewöhnt, öffnet sich der Stall automatisch morgens um 8 Uhr und macht den Weg frei ins Grüne. Zwei Ziegen halten sich als ‚Bodyguards‘ ebenfalls in diesem Gehege auf, sie haben eine Abschreckungswirkung auf Flug- und Raubwild. Bis jetzt hat es kein Habicht, Fuchs oder Marder gewagt, sich den Hühnern zu nähern“, erläutert Nina ihren bis jetzt erfolgreichen Versuch, die Hühner vor natürlichen Fressfeinden zu schützen. Abends geht der Großteil von allein zurück in den Stall, Nina und Ruven schauen jedoch jeden Abend vorbei, um eventuelle Nachzügler ebenfalls für die Nacht in den Stall zu scheuchen.
Die beiden Hühnerhalter schätzen ihre Freilandhähnchen als intelligente und soziale Wesen, die untereinander kommunizieren und sogar in der Lage sind, Freundschaften aufzubauen.
Die Weidehühner halten sich bis zu zwei Monate im Gehege des Mobilstalls auf und dürfen in dieser Zeit nach Herzenslust scharren, picken, sandbaden, ihr Gefieder putzen und sich frei bewegen – also ihren natürlichen Verhaltensmustern nachgehen. Das mobile Zuhause wird regelmäßig umgesetzt, um stets einen frischen Auslauf zu bieten. Als Futter kommt ein Mineralgemisch mit Weizen zum Einsatz, in der Zukunft wollen die beiden Nebenerwerbslandwirte den Futterweizen selbst anbauen. Für noch mehr Abwechslung im Hühnerleben sorgen beispielsweise Obst und Heu oder Lecksteine vom Pferd sowie Magenkieselsteine, die gut für die Verdauung sind. Sobald die Hühner ein durchschnittliches Lebendgewicht von 3,5 kg erreicht haben, ist die Zeit der Schlachtung gekommen. „Als es im Sommer so heiß war, haben unsere Hühner deutlich weniger gefressen und brauchten somit eine längere Zeit, um auf ihr Schlachtgewicht zu kommen. Im Winter hingegen fressen sie auch mal aus Langeweile“, so Nina. Das Konzept scheint gut durchdacht – doch was passiert eigentlich, wenn in der Region die Vogelgrippe ausbricht? „Glücklicherweise sind wir von der Vogelgrippe die letzten Monate verschont geblieben, weshalb uns bisher die Stallpflicht nicht direkt getroffen hat“, sagt Nina. „Sollte sie hier jedoch ausbrechen, wird es eine Stallpflicht geben. Die Tiere dürfen dann keinen direkten Kontakt zur Außenwelt bzw. zu Wildvögeln haben und sich nur im Stall aufhalten. Um den Tieren in diesem Fall mehr Platz zu gewährleisten, gibt es die Möglichkeit, eine Art Vorzelt an den Mobilstall zu bauen. Anders als im Falle von Legehennen, die eine längere Lebenszeit haben, könnte man die Bestände von Masthähnchen im Falle der Vogelgrippe kurzfristig anpassen. Beispiel: Bricht die Vogelgrippe aus und es herrscht Stallpflicht, so stalle ich nach der Schlachtung des letzten Durchgangs nur 100 Tiere auf, anstatt wie bisher 220 Tiere, um auf diese Weise mehr Platz im Stall zu haben.“
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Direktvermarktung als Weg zum Ziel
Ist der Moment des letzten Augenblicks gekommen, haben Nina und Ruven Helfer, die mit ihnen zusammen die Hähnchen in Transportkisten packen. Um Stress zu vermeiden, passiert das stets im Dunkeln, wenn die Hühner noch inaktiv sind. Ist anfangs ein mobiler Metzger auf den Hof gekommen, werden die Tiere jetzt in einem nahegelegenen Demeter-zertifizierten Schlachtbetrieb geschlachtet. Mittlerweile besitzen Nina und Ruven alle Zertifikate, Nachweise und entsprechende Räumlichkeiten, um die Schlachtkörper selbst zu zerlegen und zu verpacken.
Dass so ein Weidehuhn einen deutlich höheren Arbeits- und Kostenaufwand als seine Artgenossen aus der konventionellen Massentierhaltung verursacht, liegt auf der Hand. Dafür punktet diese Haltungsform, wenn es um Tierwohl, Umweltschutz und Fleischqualität geht. Es ist gut, dass immer mehr Verbraucher bereit sind, diesen Aufwand zu bezahlen. Diese Akzeptanz stellt sich am ehesten ein, wenn die Produktion transparent und vom Verbraucher nachvollziehbar ist. Daher sind derartige Haltungsformen oftmals mit dem Weg der Direktvermarktung verbunden. So auch bei dem hier vorgestellten Betrieb „Das Weideglück“ in Bockenem-Schlewecke. Die Hähnchen werden im hofeigenen Laden sowie in befreundeten landwirtschaftlichen Betrieben angeboten, deren Sortimente durch das Hähnchenfleisch ergänzt werden. Eine Vorbestellung ist möglich und gewünscht, denn so lässt sich diese Art der Vermarktung nachhaltig gestalten. Ein weiterer wichtiger Aspekt für unser aller Zukunft.
Weitere Informationen im Internet unter www.dasweideglueck.com
*Quelle: Statista