Insektensterben: Es summt nicht mehr genug!

Um die biologische Vielfalt, also den Reichtum der Natur, steht es schlechter denn je. Das aktuelle Artensterben verläuft nach wissenschaftlicher Meinung zehn- bis hundertfach schneller als im Durchschnitt der vergangenen 10 Millionen Jahre. Dabei geht es nicht nur um die Zahl der Insekten. Jede dritte Tier- und Pflanzenart ist in Deutschland gefährdet. Seit 1989 haben wir drei Viertel der Insektenbiomasse verloren. Inzwischen hat eine Studie der TU München im Untersuchungszeitraum von 2008 bis 2017 in 290 Gebieten nachgewiesen, dass ein Großteil der gesamten Insektengruppen gefährdet ist. Neben dem Wald betrifft der größte Artenschwund die Grünlandflächen, insbesondere die Wiesenflächen, die von Ackerland umgeben sind. Es schwindet also nicht nur die Insektenbiomasse, sondern ebenso die Artenvielfalt. In anderen Ländern sieht es nicht besser aus.

Allein 60 Prozent der in Deutschland heimischen Vogelarten ernähren sich hauptsächlich von Insekten.

Auswirkungen des Insektensterbens
Wenn sich der Zustand unserer Ökosysteme weiter so dramatisch verschlechtert wie bisher, könnten innerhalb der nächsten Jahrzehnte rund eine Million Arten verschwinden. Das hätte erhebliche Folgen für uns Menschen, insbesondere im Bereich der Ernährung. Allein der Verlust von Bestäuberinsekten kostet die Nahrungsmittelproduktion weltweit jährlich etwa 235 bis 577 Millionen Dollar. Fast 90 Prozent aller Pflanzen (darunter die sogenannten Nutzpflanzen) sind auf die Bestäubung durch Insekten angewiesen. Daneben bilden Insekten eine wichtige Nahrungsgrundlage für viele Vögel, Fledermäuse, Reptilien, Amphibien und andere Insekten. Allein 60 Prozent der in Deutschland heimischen Vogelarten ernähren sich hauptsächlich von Insekten. Geht deren Bestand immer weiter zurück, so hungern und verenden zahllose, insbesondere junge Tiere.

Verursacher ist der Mensch
In diesem Zusammenhang ist kaum eine Gruppe stärker als Verursacher in die Kritik geraten als die Landwirtschaft. Dabei ist niemand so essenziell auf die Bestäubungsleistung von Insekten und Bienen angewiesen wie genau diese Branche, die unsere Lebensmittel erzeugt. Wie wichtig es ist, dass wir in Deutschland noch über eine verantwortungsvolle, ausgewogene und leistungsfähig produzierende Landwirtschaft verfügen, wurde gerade zu Corona-Zeiten jedem bewusst. Es kann nicht das Ziel sein, die Hochstandards deutscher Lebensmittelproduktion ins Ausland zu verlagern, um dann Nahrungsmittel mit niederen Standards zu importieren. Geschweige denn, nicht funktionierende Lieferketten zu erhalten (siehe Gesichtsmasken etc.). Interessant ist, dass bei der TU-Studie (Biodiversitätsstudie Leitung TU München, veröffentlicht im Fachmagazin Nature) kein direkter Zusammenhang mit regionaler Landnutzungsintensität, also stark bewirtschafteten und unberührten Flächen (auch Waldflächen), festgestellt werden konnte. Bereits seit Jahren hat die Landwirtschaft Blühstreifen mit einer Länge von über 230.000 Kilometer um die Äcker angelegt. Als Verursacher kommt ausnahmslos der Mensch selbst in Frage. Durch die Intensivierung der Landwirtschaft, die Abholzung der Wälder, den Klimawandel und den ungebremsten Ressourcenhunger schrumpfen die ökologischen Reserven der Erde. Weitere Beispiele sind: Siedlungsentwicklung, Lichtverschmutzung in den Städten, die ungebremste Versiegelung von Flächen, zugepflasterte oder gekieste Gärten mit nächtlicher Dauerbeleuchtung sowie der Verkehr und die Verkehrsinfrastruktur. Die Ursachen des Insektenrückganges sind also vielfältig und durchaus komplex. Sie betreffen nicht nur die Landwirtschaft. Es geht um mehr– und wir alle müssen unseren Beitrag dazu leisten.

Erlöse für landwirtschaftliche Produkte
Die Landwirtschaft verdient immer weniger an den von ihr produzierten Lebensmitteln, obwohl Landwirtinnen und Landwirte immer produktiver werden. Von einem Euro, den der Verbraucher für Lebensmittel ausgibt, erhält der Landwirt heute nur noch etwa 22 Cent. Anfang der 1970er Jahre waren es noch rund 48 und 1950 sogar noch 63 Cent. Dazu kommt, dass Landwirtinnen und Landwirte keine Preise machen! Sie produzieren das, was gekauft wird. Unabhängig davon welche Standards manche Verbraucher erwarten, oder sich wünschen würden. Entscheidend ist das Handeln – also das Kaufverhalten der Verbraucherinnen und Verbraucher am „Point of Sale“. Darüber hinaus steuert die deutsche und europäische Landwirtschaftspolitik über Prämien und Förderrichtlinien maßgeblich das gesamte Produktionsgeschehen wie etwa mit der Festlegung von wirtschaftlichen und förderfähigen Betriebsgrößen, Förderung von Monokulturen u. a. für die Energiegewinnung, Düngung, Einsatz und Zulassung von Pestiziden u .v. m.

Erforderliche Maßnahmen im landwirtschaftlichen Bereich
Statt diesem negativen Trend entgegenzutreten, hat die letzte Reform der EU-Agrarpolitik die Situation nicht wirklich verbessert. Ein Großteil jener fast 40 Prozent des EU-Haushalts, die die Landwirtschaft betreffen, fördert unbeirrt Strukturen, die der Natur meist schaden. Hier lassen sich unschwer die Stellschrauben der EU-Agrarpolitik identifizieren. Notwendig sind allerdings nicht nur kosmetische Maßnahmen, sondern grundlegende Reformen: So sollten Landwirtinnen und Landwirte zukünftig angemessen für jene Leistungen honoriert werden, die sie für die Nahrungsmittelerzeugung und die Natur erbringen. Pauschale Flächenprämien, die lobbystarke Großgrundbesitzer bevorzugen, müssen abgeschafft, klein- und mittelständische Landwirtschaften für Nahrungsmittelproduktion und konkrete Naturschutzleistungen im Verhältnis stärker gefördert werden. Landschaftselemente wie Hecken oder Feldsäume, Nassstellen oder Wegeseitenränder müssen, insbesondere in den landwirtschaftlichen „Gunstregionen” (Hochburgen), erhalten, gepflegt, erweitert werden. Enge Fruchtfolgen, fehlende Brachen und Kleinstrukturen sollten vermieden werden. Für all das muss dem Landwirt eine auskömmliche Entschädigung für die Zurverfügungstellung seiner Flächen und seiner Dienstleistung bezahlt werden.

Pflanzenschutzmittel, Pestizideinsatz, Insektengifte und Überdüngung
Pestizideinsatz (insbesondere Neonicotinoide) in der Landwirtschaft beeinflussen die Insekten. So zerstören Totalherbizide wie Glyphosat die Ackerbeikräuter, die eine wichtige Nahrungs-, Nist- und Überwinterungsquelle für Insekten darstellen. Die eingesetzten Neonicotinoide wirken wie Nervengift auf Insekten. Sie töten sie oder beinträchtigen ihre Orientierungsfähigkeit und Fortpflanzungsrate negativ.
Die Menge an eingesetzten Pestiziden ist zwar in den letzten Jahrzehnten nicht gestiegen, dafür haben sich aber die landwirtschaftlichen Flächen verringert. Außerdem haben die ökologisch bewirtschafteten Flächen zugenommen (auf denen so gut wie keine Pflanzenschutzmittel zum Einsatz kommen). Damit dürfte sich die ausgebrachte Menge an Pestiziden pro Hektar erhöht haben. Kritisch bewertete Pestizide müssen intensiv geprüft und ohne Lobbyismus verboten werden. So sind z. B. die Deutsche Bahn und viele Straßenmeistereien ebenfalls große Glyphosatverbraucher. In überdüngten landwirtschaftlichen Flächen, oft in Verbindung mit Pestiziden, gelangen also Stoffe in die Umwelt welche sowohl die Wildpflanzenwelt, als auch die Insekten verdrängen.

Infrastrukturmaßnahmen
Eine weitere Zerstückelung und Versiegelung der Landschaft durch Straßenbau und großflächige Verbrauchermärkte samt umschließenden Parkflächen muss reduziert werden. Diese schränken den Bewegungsspielraum und -radius sowie die noch vorhandenen Lebensräume für Insekten zu stark ein. Insbesondere fliegen die wichtigen Wildbienen nicht so weite Radien wie etwa die Honigbiene. Schauen Sie sich selbst mal die großen Zusammenballungen an Verbrauchermärkten genauer an und machen Sie sich ein Bild. Wo sollen denn dort Wildbienen leben? Auch Zupflasterungen und pflegeleichte „Steingärten” wirken einer Insektenvielfalt maßgeblich entgegen. Dabei gibt es schöne Beispiele, wie jede Privatperson durch blühende Pflanzgärten, -tröge oder -kästen sowie mit Insektenhotels sogar innerhalb von Großstadtvierteln und Balkonen eine wahre Fülle von Insekten bewirten kann.

Nicht zu unterschätzen: der Klimawandel
Dänische Forscher haben in Langzeitstudien herausgefunden, dass Populationen stark spezialisierter Insektenarten vom Klimawandel beeinflusst werden. Während sich die einen Arten stärker vermehren, werden ansässige oft verdrängt. Der Verkehr tut sein Übriges dazu, und jeder sollte sich überlegen, ob nicht doch auf die eine oder andere Fahrt oder Flugreise verzichtet werden kann. Doch allein schaffen wir das nicht. Es sind globale Probleme, die gelöst werden müssen! Für alle Insektenarten gilt, sie brauchen Wasserquellen, und die müssen erhalten bzw. geschaffen werden. Man braucht nur das Summen der Insekten an Teichen und anderen Wasserstellen beobachten und sieht, dass Wasser wirklich Leben bedeutet. Die Bienenzüchter, meist Hobbyimker, werden immer mehr, die Völker weniger. Es ist kein Geheimnis, dass Unerfahrenheit in diesem Bereich massiven Schaden anrichten kann. Zwar gibt es inzwischen Ausbildungsprogramme, sogenannte „Bienenkurse“ für Hobbyimker, sowie die Betreuung durch „Paten“ in Imkervereinen. Leider gibt es aber immer noch Unbelehrbare, die das nicht annehmen und richtig umsetzen. Denn wenn die erforderlichen Kenntnisse und Erfahrungen nicht vorliegen, kann dies schnell zum Milbenbefall im eigenen Volk und zu Reinvasionen von Milben bei gesunden und gut gepflegten Bienenvölkern des Nachbarn führen.
 

FAZIT
Es ist wichtig, dass alle Aufgaben und Maßnahmen, die zu einer zügigen Problemlösung beitragen, schnell in Angriff genommen werden. Dabei handelt es sich um einen gesamtgesellschaftlichen Maßnahmenkatalog. Jeder Einzelne muss seinen Beitrag dazu leisten, nicht nur die Landwirtschaft! Auf ihr lastet der größte Anteil, wofür sie angemessen entschädigt werden muss. Aber die ursächlichen Probleme einfach auf die Landwirtschaft abzuschieben, ist zu billig. Es hat jeder auch selbst in der Hand, wirksam gegen das Insektensterben zu handeln.

Autor: Gerhard Pfeffer, Bildquelle: Pixabay