Tendenziell weniger Lust auf Fleisch

Anfang Januar veröffentlichte die Heinrich-Böll-Stiftung zusammen mit dem Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) und der deutschen Ausgabe der Le Monde Diplomatique den „Fleischatlas 2021“. Der seit 2013 regelmäßig erscheinende Fleischatlas thematisiert den weltweiten Fleischkonsum und dessen negative Auswirkungen und zeigt Lösungsstrategien auf. In Deutschland wird weniger Fleisch gegessen, während der globale Konsum weiterhin steigt. Die tendenziell sinkende Konsummenge von Fleisch in Deutschland ist vor allem auf die Zurückhaltung gegenüber dem Schweinefleisch zu erklären. Sein durchschnittlicher Gesamtverbrauch sank seit dem Jahr 1991 um rund sieben Kilogramm.

Die globale Nachfrage nach Fleisch steigt durch Wirtschafts- und Bevölkerungswachstum weiter an, allerdings langsamer als noch vor zehn Jahren. Geflügel macht dabei einen immer größeren Anteil aus.

Wie groß der Appetit auf Fleisch in Deutschland ist, scheint mittlerweile eine Altersfrage zu sein. Das zeigt eine repräsentative Jugendumfrage im Fleischatlas 2021. Daraus geht hervor, dass mehr als 70 Prozent der 15- bis 29-Jährigen die Fleischproduktion in Deutschland in ihrer jetzigen Form ablehnen. 40 Prozent der Befragten gaben an, wenig Fleisch zu essen und 13 Prozent ernähren sich ausschließlich vegetarisch oder vegan – doppelt so viele wie im Gesamtdurchschnitt der Bevölkerung. Begründet ist die kritische Haltung nicht zuletzt durch die deutliche Ablehnung der Arbeitsbedingungen in der Fleischindustrie, die mehr als 70 Prozent der Befragten als abstoßend empfinden und die sich in der Coronakrise als Infektions-Hotspots erwiesen haben – das allerdings nicht nur in Deutschland, sondern in vielen Ländern Europas sowie in den USA. Zumindest hier hat die Politik gehandelt und mit dem Arbeitsschutzkontrollgesetz, das zum 1. Januar dieses Jahres in Kraft getreten ist, in Deutschland die Zeit der Leiharbeit und Werkverträge in Schlachtung und Zerlegung beendet. Es ist ein guter Anfang, aber nur der berühmte Tropfen auf dem heißen Stein, wenn der Ausbeutung von Mensch, Tier und Natur entgegen gewirkt werden soll.

„Der globale Trend ist alarmierend“, sagt Barbara Unmüßig, Vorstand der Heinrich-Böll-Stiftung, auf der Pressekonferenz zur Vorstellung des neuen Fleischatlas. Aus ihrer Sicht halten uns die wirtschaftlichen Interessen der milliardenschweren Fleischindustrie und die Reformverweigerung der Politik auf einem dramatischen Irrweg, der die ökologischen Grenzen des Planeten sprengt. „Die industrielle Fleischproduktion ist nicht nur für prekäre Arbeitsbedingungen verantwortlich, sondern vertreibt Menschen von ihrem Land, befeuert Waldrodungen, Pestizideinsätze und Biodiversitätsverluste – und ist einer der wesentlichen Treiber der Klimakrise“, so die Politologin weiter. Olaf Bandt, Chef des BUND, ergänzt: „Die Politik muss dem gesellschaftlichen Wunsch nach dem Umbau der Tierhaltung Rechnung tragen. Dies erfordert eine weitreichende politische Neuausrichtung der Agrarpolitik, aber die Agrarwende wird ohne eine Ernährungswende nicht zu schaffen sein. Niedrige Preise machen es den Bäuerinnen und Bauern schwer, auf die gestiegenen Anforderungen nach mehr Umweltschutz und mehr Tierwohl zu reagieren. Daher sind die derzeitigen Proteste der Bäuerinnen und Bauern gegen die Preispolitik des Lebensmitteleinzelhandels vollkommen richtig. Auch deshalb muss Frau Klöckner ihre Verantwortung wahrnehmen und die Ergebnisse des Kompetenznetzwerks Nutztierhaltung umsetzen. Denn damit würde eine tierschutzgerechte Tierhaltung endlich verlässliche finanzielle Grundlagen bekommen.“

Globale Fleischkonzerne spielen eine wichtige Rolle bei der Frage, wie Fleisch und Futtermittel produziert, transportiert und gehandelt werden.

Deutschland nimmt die Spitzenposition bei der Erzeugung von Schweinefleisch und Milch in der EU ein und erreicht Marktanteile von über 20 Prozent. Ein Großteil wird exportiert. „Diese Abhängigkeit vom Weltmarkt schadet der Umwelt, den Tieren und den bäuerlichen Betrieben. Auf immer weniger Höfen leben immer mehr Tiere. Wir dürfen hier keine weiteren bäuerlichen Betriebe verlieren, wenn wir den Umbau schaffen wollen“, ist Bandt überzeugt. Seit 2010 ist die Tierzahl pro Betrieb bei Mastschweinen von 398 auf 653 gestiegen. Bedenklich sei, dass die Zahlen bei Schweinen besonders in Nordrhein-Westfalen und Niedersachen gestiegen sind, dort, wo bereits überdurchschnittlich viele Tiere gehalten werden. Damit wird die Verschmutzung des Grundwassers in diesen Regionen weiter verschärft.

Unsere Meinung: Der Fleischkonsum ist in Deutschland rückläufig. Doch damit eröffnen sich auch neue Chancen für eine bäuerliche Lebensmittelerzeugung und für Experten, die mit diesen Lebensmitteln adäquat umgehen können. Bei reduzierten Mengen in Verbindung mit einer hohen Fleischqualität gewinnen Spezialisten und Spezialitäten wieder an Bedeutung. Sie erzielen dann sicherlich wieder gute Erzeugerpreise. So eine Entwicklung ist außerdem umweltverträglicher als die bisherige Fleischproduktion. Wird der Fokus wieder auf eine handwerklich-bäuerliche, regionale Lebensmittelerzeugung gelegt, fördert das den Erhalt einer vielfältigen Tier- und Pflanzenwelt. Auf politischer Ebene ist deshalb ein Umdenken in der Agrarpolitik gefordert. Stichwort Agrarwende. Eine Aufgabe, die von allen EU-Mitgliedsstaaten gemeinsam gelöst werden sollte.

Weitere Informationen: Der Fleischatlas 2021 steht unter www.boell.de/fleischatlas bzw. www.bund.net/fleischatlas zum Download bereit. Der Atlas bietet auf über 50 Seiten und in über 80 Grafiken zahlreiche Daten.