Fleischkunde: Tafelspitz vom Rind

Ein Cut, der hierzulande missverstanden wird. Kennen wir ihn nur in der Brühe gegart, mit Kren und Kartoffeln, hat er doch so viel mehr zu bieten. Aber der Reihe nach. Fleisch ist, sieht man es als das, was es ist, nämlich Muskulatur, die ein Lebewesen hält und bewegt, ganz einfach zu verstehen! Je nach Lage des Muskels am Körper, hat er viel oder wenig Spannung bzw. Belastung zu ertragen. Hat er viel Arbeit, ist er sehnendurchzogen und fest im Biss, also Schmorbraten oder Gulasch. Hat der Muskel aber standortbedingt wenig zu tun, ist er roh schon zart. Das heißt, man kann Carpaccio oder Steaks drauss schneiden.

Jetzt die große Frage: Wo gehört der Tafelspitz, den wir meistens aus der Brühe kennen, zartheitsbezogen denn nun hin? Steak oder Schmorbraten? Ich löse auf: definitiv und unmissverständlich Steak. Er ist der obere Teil des größten Muskels im ganzen Rind, dem Gluteus Maximus. Dieser befindet sich am hinten am Oberschenkel. Er ist unten mit der Wade verwachsen und oben verläuft er über die Hüfte. Das kuriose daran ist, dass dieser Muskel vom Rücken in den hinteren Oberschenkel verläuft. Der Rücken ist zartes Fleisch, der hintere Oberschenkel hingegen gar nicht. So kommt es zustande, dass nur ein Teil des Gluteus Maximus zart ist, nämlich der Teil über der Hüfte: der Tafelspitz. Den Rest des kompletten Muskels kennen wir als Unterschale. Liegt der komplette Gluteus Maximus auf dem Tisch erkennt man, bei einem mageren Rind, den Tafelspitz von außen an der geschlossenen Fettabdeckung. Von innen ist es etwas schwieriger. Eigentlich wird es dort zart, wo der Rücken anfängt. Schneidet man alle Faszien weg sieht man am Tafelspitz 4 Blutgefäße. Zwischen dem dritten und vierten Blutgefäß wird der Tafelspitz von der Unterschale abgeschnitten. Mir wurde das eher gradlienig erklärt: „Nach der dritten Ader wird s zäh!“ Er wird in Österreich Hüftdeckel genannt und die englische Bezeichnung heißt Cap of Rump (Deckel der Hüfte). Offensichtlich hatten die Namensgeber in Österreich und in England die gleiche Idee. Wie der Name Tafelspitz entstand, entzieht sich meiner Kenntnis. Vielleicht hat es mit der spitzigen Form des Cuts zu tun. Auffällig ist die geschlossene Fettschicht, die die Außenseite komplett bedeckt. Schaut man einem Rind auf den Hintern, bemerkt man rechts und links vom Kuhschwanz ein Fettpolster. Das ist der Fettdeckel vom Tafelspitz unter der Haut. Je nach Fettgehalt des Schlachtkörpers, kann dieser stark variieren. Diese Stelle neben dem Schwanz wird auch ertastet, um den Fettgehalt des Schlachtkörpers beim lebenden Tier festzustellen. Bei Viehhändlern ist diese Methode als Schwanzgriff bekannt.
Im Gegensatz zum Roastbeef befindet sich beim Tafelspitz zwischen aromatischem Fett und zartem Fleisch keine dicke Sehne. Das macht den Tafelspitz für mich zu einem genialen Steak. In 3 bis 4 cm dicke Scheiben, quer zur Faser geschnitten, hat jedes Steak an einer Seite einen Fettstreifen, den man zum Schluss des Garvorgangs richtig aufknuspern kann. Rindersteak mit Kruste!

Was an dieser Stelle auch nicht vergessen werden darf ist Churasco. In Südamerika kennt man den Tafelspitz mit Fettdeckel unter dem Namen Picanha. Ein klassischer Churrasco Grillspieß besteht aus etwa 10 cm breiten Stücken Picanha und Maminha (Bürgermeisterstück), welche indirekt neben dem Feuer low and slow gegart werden. Kurz vor dem Servieren wird die Fettschicht angebraten und das Fleisch direkt vom Spieß tranchiert. Zum Schluss noch ein Wort über den Tafelspitz in der Brühe. Macht man das richtig, wird der Tafelspitz eben nicht im kochenden Wasser bis zur Unkenntlichkeit thermisch vergewaltigt, sonder in 80 bis 90 °C heißer Brühe langsam bis zu einer Kerntemperatur von 58 bis 60 °C gargezogen. Also quasi kurzbraten im Wasser. Egal, ob man seinen Tafelspitz roh in Steakscheiben schneidet, oder gebrüht tranchiert, die Faserrichtung ist zu beachten. Die Fleischfaser verläuft fächerförmig durch den Tafelspitz. Am einfachsten für s ungeübte Auge wäre es, folgendermaßen vorzugehen: Von der Spitze her den schmalen Teil in Scheiben schneiden. Nach etwa der Hälfte um 90 °C drehen und den dicken Teil in Scheiben schneiden. Viel Spaß beim Tafelspitz mal anders!

1) Am hängenden Hinterviertel wird zuerst die Bauchdecke (Bauchlappen) abgetrennt.

2) Nach Herauslösen des Filetkopfs kann durch einen Schnitt an einer der Bandscheiben die Wirbelsäule mit dem Rückenmuskel (Roastbeef) komplett abgesetzt werden.

3) Aus der auf dem Zerlegetisch liegenden Keule, nehme ich zuerst den Beckenknochen heraus.

4) Jetzt hebe ich an der Innenseite des Oberschenkels die sogenannte Oberschale ab, um den Oberschenkelknochen freizulegen.

5) Der Oberschenkelknochen (Os femoris) wird ausgebeint.

6) Aus dem noch verbleibenden Teil der Keule (Nuß / Wade / Hüfte / Bürgermeisterstück / Semmerrolle / Unterschale mit Tafelspitz) trenne ich nun alle Teile ab, bis nur noch die Unterschale samt Tafelspitz (Gluteus maximus) übrig bleibt. Hier werden jetzt die Faszien abgehoben

7) Die Blutgefäße sind im Tafelspitz gut sichtbar.

8) Abschneiden des Tafelpitzes von der Unterschale.

9) Dreht man das Ganze ist gut sichtbar, dass der Tafelpitz wesentlich mehr Fettabdeckung als die Unterschale hat.
 

Jetzt kann es ans Grillen gehen! Wie wäre es zum Beispiel mit Tafelspitz low & slow mit Koriander-Minze-Relish von Elmar Fetscher? Dieses und weitere Rezepte für Tafelspitz findest Du in unserer Rezeptdatenbank und natürlich gibt's noch mehr Fleischkunde und Metzgerwissen von Philipp Sontag im FIRE&FOOD Magazin oder in unseren praktischen und günstigen eDossiers.