Chicorée & Radicchio: zart-bittere Sparringspartner für's BBQ!

Während die Existenz von Umami als „neue“ fünfte Geschmacksrichtung erst vor einigen Jahren hieb- und stichfest wissenschaftlich bewiesen wurde (bekannt ist Umami jedoch bereits seit Anfang des 20. Jahrhunderts), kennt die ayurvedische Küche seit mehr als 5000 Jahren sechs Geschmacksrichtungen. Nach ayurvedischer Lehre sollen süß, sauer, salzig, scharf, bitter und herb in jedem Gericht in einem ausgewogenen Verhältnis zueinanderstehen. Ein ausgeprägtes Verlangen nach einer bestimmten Richtung zeigt demnach einen Mangel oder ein Ungleichgewicht an. Doch durch unsere häufig industriell geprägte Ernährungsweise ist unsere Fähigkeit, diese verschiedenen Geschmacksrichtungen intensiv wahrnehmen zu können, oftmals verkümmert. Und eine besonders starke Lust verspüren wir höchstens auf Süßes oder Salziges. Zu etwas Bitterem greifen wir eventuell noch, wenn wir zu viel gegessen haben, denn wie wusste Großmutter bereits: „Was bitter im Mund, ist dem Magen gesund.“

Wertvolle Bitterstoffe?
Bitteres hat in unserer Ernährung keinen großen Stellenwert und das ist evolutionstechnisch durchaus berechtigt. Ein bitterer Geschmack brachte in unseren Vorfahren quasi die Alarmglocke zum Klingen und bewahrte sie so davor, ein eventuell giftiges Wildkraut zu verspeisen. Noch heute kann „bitter“ auf eine Gefahr für die Gesundheit hinweisen – beispielsweise bei Zucchini oder Kürbissen, die vermutlich in Sommern mit großer Trockenheit vermehrt zur Bildung darmschädigender Bitterstoffe, der so genannten Cucurbitacine neigen. Aber auch durch Rückkreuzungen mit Zierkürbissen, die in Hobbygärten entstehen können, wenn Zierkürbisse und essbare Kürbisgewächse in unmittelbarer Nachbarschaft wachsen, können sich diese gefährlichen Bitterstoffe entwickeln. Bitterstoffe sind strukturell sehr unterschiedlich. Viele dieser Substanzen finden sich in Pflanzen, andere werden von Tieren produziert und wieder andere entstehen bei der Verarbeitung von Nahrungsmitteln oder bei Alterungs- und Zerfallsprozessen. Viele dieser heterogenen Bitterstoffe befinden sich in Lebensmitteln aus unserem Alltag, wie zum Beispiel Koffein aus Kaffee, Limonin aus Zitrusfrüchten, Chinin aus Bitterlemon, Ethylpyrazin, das bei Röstprozessen entsteht, Sinigrin aus verschiedenen Kohlsorten und auch in medizinische Inhaltsstoffe. Damit wir sie alle wahrnehmen können, verfügt der Mensch über 25 verschiedene Bitterrezeptortypen, mit denen er tausende natürliche, synthetische und bei der Nahrungsmittelherstellung und -reifung entstehende Bitterstoffe erkennt. Dies ist ein großer Unterschied zum Süßgeschmack, denn Süßes nehmen wir mit nur einem einzigen Rezeptortyp wahr. Dass wir Bitterem also eher skeptisch gegenüberstehen, ist uns angeboren. Auch die Lebensmittelindustrie setzt mit ihren Produkten auf unsere Lust auf Süßes und Salziges, schließlich geht es darum, so viel wie möglich zu verkaufen. Damit Obst und Gemüse möglichst vielen Verbrauchern schmecken, werden bittere Komponenten herausgezüchtet. Mit den Bitterstoffen geht jedoch eine Reihe positiver Wirkungen verloren. Der bittere Geschmack regt den Speichelfluss an, er fördert die Ausschüttung von Verdauungssäften und aktiviert die Magen-Darm-Bewegungen. Klassische Vertreter bitterer Gemüsesorten sind unter anderem Radicchio und Chicorée. Sie enthalten den Bitterstoff Lactucopikrin und sind reich an Beta-Carotin und Mineralstoffen wie Fluorid, Kalium, Phosphor, Kalzium und Magnesium. Auf Bauernmärkten oder in Biosupermärkten finden sich häufig ältere Sorten, die noch einen höheren Bittergehalt aufweisen. Seit einiger Zeit ist Chicorée auch mit rotgefärbten Blättern im Handel erhältlich. Er stammt aus einer Kreuzung mit Radicchio und ist nicht nur ein schöner Farbtupfer in Salaten, sondern besitzt ebenfalls weniger Bitterstoffe als alte Sorten.

Beide Sorten, ob Chicorée oder Radicchio, brauchen nicht viel Aufwand, um als Beilage zu Gegrilltem groß raus zu kommen. Chicorée wird dafür am besten halbiert, Radicchio lässt sich gut in Scheiben geschnitten grillen.

 

Vom Kaffeeersatz zum Sparringspartner fürs BBQ
Auch beim Grillen und Barbecue dominieren neben den Raucharomen eher salzig-kräftige und süße Geschmacksnoten. Diese mit etwas Bitterem zu ergänzen, rundet den Gesamtgeschmack positiv ab und tut uns zusätzlich gesundheitlich gut. Während Chicorée eigentlich von Oktober bis einschließlich April aus heimischem Anbau verfügbar ist, hat Radicchio aus regionalem Anbau ab August bis Ende November Saison. „Eigentlich“ deshalb, weil man beide Salatgemüse das ganze Jahr über im Handel findet, und das sind nicht alles Importe aus dem Ausland. Radicchio kommt außerhalb der Saison aus Gewächshäusern, hat dann aber nicht das typisch intensive Aroma. Bei der kommerziellen Produktion von Chicorée-Salat macht moderne Technik den Anbau von Saisonzeiten unabhängig. Die zweijährige Chicorée-Pflanze verbringt nur die ersten fünf Monate auf dem Acker. Mitte Oktober werden die Blätter abgemulcht, die Wurzelrüben geerntet, kühl gelagert und in lichtgeschützte und klimatisierte Räume gebracht. Erst dort treiben – unabhängig von der Witterung – innerhalb von drei Wochen in Bassins mit erwärmtem Wasser neue Blattknospen aus, die als Chicorée-Salat genutzt werden. Das ist ganzjährig möglich. Die absolute Dunkelheit ist notwendig, damit die zapfenförmigen Sprossen ihre Blässe behalten.
Ursprünglich stammt das Salatgemüse aus dem Mittelmeerraum. Bis in die 1980er Jahre wurde Radicchio fast ausschließlich in Italien kultiviert, heute erfolgt der Anbau weltweit. Die Rotfärbung der Blätter entsteht, sobald die Nächte kühler werden. Wobei die kompakten, kleinen Salatköpfe, die wir im Handel finden, nur die fest geschlossenen Innenköpfe des Salates sind. Die äußeren, überwiegend grünlichen Blätter werden aufgrund der starken Bitterkeit schon vorher entfernt. Was wir gemeinhin als Chicorée bezeichnen, sind die Sprossen der Wurzel der Salatzichorie, einer Kulturform der bekannten Wegwarte, zu deren Familie neben Radicchio auch Endivie gehört. In unseren Breitengraden war zuerst die Verwendung der getrockneten Wurzel bekannt: Als Kaffeeersatz für Bohnenkaffee. Für den Zichorienkaffee wird heute noch die Wurzel zerkleinert, geröstet und anschließend gemahlen. Belgische Bauern entdeckten im 19. Jahrhundert per Zufall, dass über Winter eingelagerte Chicorée-Wurzeln erneut austrieben und so essbare Salatsprossen wuchsen.

Nahrung & Rohstoff
Rund 800.000 Tonnen: Diese Mengen an Chicorée-Wurzelrüben fallen jährlich europaweit bei der Produktion von Chicorée-Salat als Abfallprodukt an. Die Wurzelrüben werden bisher nach der Ernte des Chicorée-Salats auf der Kompostierungsanlage oder in der Biogasanlage entsorgt. Viel zu schade, so die Ansicht zweier Forscherinnen der Universität Hohenheim. Denn aus diesen Wurzelrüben lässt sich Hydroxymethylfurfural (HMF) gewinnen, einer der Basisstoffe für die Kunststoffindustrie von morgen. „Die Wurzelrübe macht ca. 30 % der Pflanze aus. Die eingelagerten Reservekohlenhydrate werden für die Bildung der Salatknospen nicht vollständig aufgebraucht, so dass wertvolle Reservestoffe verbleiben. Die Wurzelrüben können jedoch nur einmal für die Chicorée-Treiberei genutzt werden, fallen nach der Knospenernte als Abfallstoff an und müssen entsorgt werden“, erklärt Agrarbiologin Dr. Judit Pfenning. Im Gegensatz dazu liegt der Wert von HMF im Chemikalien-Großhandel aktuell bei etwa 2000 Euro das Kilo. Ein weiterer Aspekt macht das Projekt noch aussichtsreicher: „Die Chicorée-Wurzelrübe eignet sich nicht nur deshalb so gut zur Gewinnung von HMF, weil sie ein Abfallprodukt ist“, betont Prof. Dr. Kruse. „Sie produziert auch eine höherwertige Chemikalie als das Äquivalent aus Erdöl.“ Dadurch könnten PET-Flaschen aus Chicorée-HMF beispielsweise dünner gezogen werden als solche aus Erdöl-PET. Das spart Transportkosten und verbessert die Umweltbilanz noch weiter.

Schnelle Beilage zu Fleisch, Fisch & Meeresfrüchten
Beide Sorten, ob Chicorée oder Radicchio, brauchen nicht viel Aufwand, um als Beilage zu Gegrilltem groß raus zu kommen. Wem auch die Bitterstoffe auch der neueren Züchtungen noch zu heftig sind, entfernt jeweils den Strunk keilförmig aus der Pflanze, ansonsten werden höchstens angewelkte Außenblätter entfernt. Kurz waschen und trockentupfen und schon kann das Gemüse auf den Grill, um Röstaromen aufzunehmen und um ein schönes Grillmuster zu bekommen. Chicorée wird dafür am besten halbiert, Radicchio lässt sich gut in Scheiben geschnitten grillen. Da sich die Chicoréeblätter beim Kochen oder Grillen leicht dunkel verfärben, ist die Verwendung eines Grillrostes aus Eisen ratsam. Kleingeschnitten und gepaart mit ebenfalls gegrillten Kirschtomaten und einigen knusprigen Baconscheiben ist ein lauwarmer Beilagensalat, der auch bei Kindern gut ankommt, schnell gemacht. Etwas Olivenöl, Salz, Pfeffer und Balsamico dazu – letzteres neutralisiert ebenfalls die Bitterstoffe – und es kann serviert werden. Zerkrümelter Schafskäse oder frisch geriebener Parmesan passen bestens dazu. Wer es lieber knackig-säuerlich mag, kombiniert mit Zitrusfrüchten wie Grapefruit oder Orange, eine süßliche Komponente bringen Trockenfrüchte wie Dattel, Aprikose oder Pflaume. Der eigenen Experimentierlust sind keine Grenzen gesetzt.

Lagerung
Schon beim Einkauf ist es wichtig, dass die Stauden bzw. Köpfe fest sind, der Chicorée sollte nur hellgelbe Spitzen haben. Sind diese grün, hat er beim Wachsen Licht bekommen und konnte somit mehr Bitterstoffe entwickeln. Grundsätzlich gilt, dass Chicorée oder Radicchio umso besser schmecken, je frischer sie verarbeitet werden. Aber auch im Kühlschrank bleiben sie bis zu einer Woche schmackhaft. Dafür die Gemüse am besten in eine Schüssel geben und mit Frischhaltefolie bedecken. So dunkel wie möglich aufbewahren, da auch noch bei der Lagerung Licht den Geschmack verändert.

 

Autor: Stephanie Prenzler