Schwäbisch-Hällisches Landschwein: Glücksbringer auf vier Beinen

© grothey

Wie aus der Rettung der ältesten Schweinerasse Deutschlands ein erfolgreiches Zukunftsprojekt für eine ganze Region wurde. Die Region Hohenlohe zwischen Kocher, Jagst und Tauber gilt als eine der genussreichsten Gegenden in Deutschland. Wohl nirgendwo in Europa gibt es auf kleinstem Raum so eine ausgeprägte landwirtschaftliche Direktvermarktung und so viele Biobauern wie hier. Eine Struktur, die es erlaubt, seltene und vom Aussterben bedrohte Tierrassen zu züchten und somit deren Fortbestand zu sichern. Wie im Fall des Schwäbisch-Hällischen Schweins. Oder ist es eher andersherum? Brauchte es die Rückbesinnung auf landwirtschaftliche Traditionen, um so eine Struktur aufzubauen? Eine Spurensuche.

1984 ist für das Hohenloher Land ein Schicksalsjahr. Nicht im orwellschen Sinne, sondern eher in dem der „blühenden Landschaften“. Als Startschuss für eine solidarische, am Gemeinwohl orientierten Landwirtschaft, die es schafft, Bauern ein kalkulierbares Einkommen zu sichern und gleichzeitig die Bürger in der Region mit wertigen, heimisch produzierten Lebensmitteln zu versorgen. Es klingt fast wie Bullerbü. Ein Idyll, von dem die ehemalige Landwirtschaftsministerin Julia Klöckner vor zwei Jahren anlässlich der Grünen Woche in Berlin behauptete, „Wir werden nicht mit romantisierenden Bullerbü-Vorstellungen zurück zu einer vormodernen Landwirtschaft kehren, weil man sich ein Idyll sucht… Damit werden wir die Menschen nicht ernähren können.“ Dass man sich als Bauer sehr wohl auf vormoderne Strukturen rückbesinnen und gleichzeitig mit modernen Methoden naturnah und wirtschaftlich erfolgreich arbeiten kann, zeigt das Beispiel Hohenlohe. Impulsgeber dort war Rudolf Bühler. Der Pionier für Nachhaltigkeit hat mit seinem pragmatischen Handeln nicht nur die Rasse der Schwäbisch-Hällischen Schweine vor dem Aussterben bewahrt, sondern gleichzeitig für Zukunftsperspektiven einer landwirtschaftlich geprägten Region gesorgt.

Rudolf Bühler, Bäuerliche Erzeugergemeinschaft Schwäbisch Hall

Nach seiner Lehre zum Landwirt und anschließendem Studium zum Agraringenieur mit Schwerpunkt Tropenlandwirtschaft war Bühler gute sechs Jahre als Entwicklungshelfer in Afrika, Arabien und Asien unterwegs. Diese Zeit hat ihn sensibel für den Wert von lokalen Tierrassen gemacht. Sie sind stets an die jeweiligen Futtergrundlagen und Klimate angepasst. Im Gespräch erläutert Bühler: „Über Jahrhunderte haben Generationen von Bauern Tiere und Pflanzen von der Wildform zur Kulturform gezüchtet und diese an die jeweils lokalen Umweltbedingungen angepasst. Man spricht insoweit von lokal angepassten und autochthonen Tierrassen und Pflanzenarten. Dies sind Schätze, welche die Bauern hervorgebracht haben – und nicht irgendwelche Industriekonzerne wie Monsanto, Bayer, Syngenta & Co. Auch in Deutschland hatten wir Mitte des vorigen Jahrhunderts noch gut 15 regionale autochthone Schweinerassen. Als ich dann 1984 aus der Entwicklungshilfe in meine Heimat Hohenlohe zurückkam, waren von all diesen alten Rassen 12 ausgestorben, so auch unser geliebtes Schwäbisch-Hällisches Schwein, welches als autochthone Rasse den stolzen Namen der alten Freien Reichsstadt Schwäbisch Hall trägt. Dies hat mich sehr betroffen gemacht und ich begann, überlebende Exemplare dieser ältesten deutschen Landrasse einzusammeln. Schließlich fand ich noch gut zwei Dutzend überlebende Hällische Schweine und diese bekamen auf unserem Sonnenhof in Wolpertshausen Asyl.“ Aus diesem Bestand wurden gerade noch sieben Zuchtsauen von der zuständigen Körkommission als reinrassig anerkannt und somit kam Rudolf Bühler als Retter in der allerletzten Minute. Seit dieser Zeit werden die „Mohrenköpfle“ wieder im Herdbuch geführt. Den umgangssprachlich liebevollen Namen verdanken sie ihrem Markenzeichen: Einer markanten blauschwarzen Färbung von Kopf und Hinterteil.

Älteste Schweinerasse in Deutschland

Das Schwäbisch-Hällische Landschwein geht auf König Wilhelm I. von Württemberg zurück. Er importierte 1821 Chinesische Maskenschweine, die als fruchtbar, genügsam und zahm beschrieben wurden und deren Fleisch als sehr schmackhaft galt. Auf Geheiß des Königs begann im Stuttgarter Umland die Einkreuzung mit einheimischen Landrassen. So entstand die älteste Schweinerasse in Deutschland und bereits 1844 schrieb man über die Region Hohenlohe um Schwäbisch Hall im Landwirtschaftlichen Correspondenzblatt: „Nirgends versteht man sich auf Schweinemast und Schweinezucht so gut wie im Hällischen und nirgends trifft man die eigentümliche und vorzügliche Race von Schweinen an, welche der Hällische Bauer hat“. In den 1950er Jahren betrug der Marktanteil der Rasse in Nordwürttemberg rund 90 Prozent, im Landkreis Schwäbisch Hall sogar über 99 Prozent. Doch ab der 1960er Jahre setzten sich magere Rassen durch. Das Fleisch der Schwäbisch-Hällischen Schweine passte nicht mehr zu einer veränderten Verbrauchernachfrage nach fettarmem Fleisch und einer zunehmend industrialisierten Agrarwirtschaft. Trotz des erstklassigen Geschmacks und der hervorragenden Qualität war das Fleisch der Mohrenköpfle nicht mehr zeitgemäß, und so wurde das Landschwein immer weiter verdrängt, bis es Anfang der 1980er als ausgestorben galt.

König Wilhelm I. von Württemberg

Als Bühler 1984 in 14. Generation den Hof seiner Vorfahren übernahm und die Renaissance der Schwäbisch-Hällischen federführend mit weiteren Hohenloher Bauern vorantrieb, bekamen sie einigen Gegenwind zu spüren: „Es war erstmalig, dass man sich um das Überleben einer alten Tierrasse bemüht hat. Wissenschaft und Forschung wollten davon nichts wissen, man propagierte ein ‚industriegerechtes deutsches Einheitsschwein‘, also Hybriden, was eben dazu geführt hat, dass all die alten Rassen ausgestorben sind und neben uns nur noch die Bentheimer und Angler überlebt haben. ‚Was wollt Ihr mit dem alten Glump‘ war noch der netteste Kommentar der industriell orientierten Schweineproduzenten. Dann kam die Phase, wo wir bekämpft wurden, weil wir die alte Landrasse unter artgerechten Bedingungen aufgezogen haben und ohne Antibiotika im Futter. Da war natürlich der Stress groß, dies hat nun doch komplett gegen die vorherrschende Lehrmeinung opponiert. Qualität hat keine Rolle mehr gespielt, nur noch schnellstes Wachstum bei magerstem Fleisch. Aber unsere Kundschaft war begeistert. Der alte Herr Böhm vom damals führenden Feinkosthaus Böhm hat uns motiviert und gesagt: ‚Jetzt kann ich endlich auch wieder Schweinefleisch in meinen Delikatessgeschäften anbieten‘, so sehr hatten ihn die Probelieferungen überzeugt. Und so nahm die Geschichte ihren Lauf, es ist erstmals gelungen, eine alte Rasse zu erhalten und wiederzubeleben. Dies hatte eine große Symbolik und heute spricht man ganz normal von Biodiversität und Tierwohl, wir sind in der Mitte der Gesellschaft angekommen“, erzählt der hartnäckige Agraringenieur.

Historisches Gemälde mit Landschwein und Limpurger Rind

Von der Zucht bis zur Vermarktung

Für Bühler war schnell ersichtlich, dass sich eine Tierzucht jenseits der industriellen Methoden der Massentierhaltung in der Landwirtschaft nur durchsetzen kann, wenn sie den Bauern auch ein aufwandsgerechtes Auskommen ermöglicht. Die Gründung der Bäuerlichen Erzeugergemeinschaft Schwäbisch Hall (BESH) Ende der 1980er Jahre war die Folge. Mittlerweile züchten und mästen rund 400 Familienbetriebe aus der Region Hohenlohe diese besondere Schweinerasse. Das Fleisch wird als Schwäbisch-Hällisches Qualitätsfleisch g. g. A. (geschützte geografische Angabe) vermarktet und ist somit EU-weit geschützt. Der Bestand der Mohrenköpfle ist auf mehrere Tausend reinrassige Muttersäue angewachsen, die pro Jahr etwa 80.000 Ferkel werfen. Die Aufzucht und die anschließende Schlachtung erfolgen nach den strengen Richtlinien der Erzeugergemeinschaft, letztere übernimmt der eigene Schlachthof der BESH. Bei der Produktion eines Schnitzels vom Hällischen Schwein werden laut Bühler 49 Prozent weniger Kohlendioxid erzeugt als bei der Produktion eines Schnitzels aus dem Discounter. Es ist ein Konzept, das sich unter dem Strich für alle lohnt: für den Landwirt und den Verbraucher wie für die Tiere und die Umwelt. Rudolf Bühler ist sich sicher: „Wir Bauern müssen uns zusammenschließen und unseren eigenen Weg machen, indem wir die Wertschöpfungsketten umdrehen, damit auch wieder ein gerechtes Einkommen bei den Erzeugern ankommt. Dies als ‚Field to Fork‘-Strategie aus bäuerlicher Hand, solidarisch und selbst-bestimmt, mit den besten Qualitäten und gleichzeitig mit Respekt vor den Tieren und unserer Schöpfung. Vom Staat erwarten wir, dass die externen Kosten der industriellen Food-Produktion eingepreist und die externen Leistungen einer bäuerlichen und ökologisch verträglichen Landwirtschaft ausgeglichen werden. Dann brauchen wir Bauern die Solidarität unserer Mitbürger: Wenn unsere wertigen bäuerlichen Erzeugnisse zum korrekten Preis gekauft werden, dann wird diese Art von bäuerlicher Landwirtschaft unterstützt, Agrarkultur und Ökologie gefördert. Jede Generation hat ihre besonderen Aufgaben. Mein Beitrag war, Fehlentwicklungen in der Landwirtschaft und Agrarkultur mit positiven Beispielen zu korrigieren. Und wenn jeder an seinem Platz etwas dazu tut, dann haben wir Zukunft. Ich halte es mit Albert Schweitzer: Ehrfurcht vor dem Leben – Respekt vor der Schöpfung.

Wer das Fleisch vom Schwäbisch-Hällischen Landschwein fürs nächste Barbecue – auch in der Dry Aged-Version – ordern möchte, hat nicht nur persönlich vor Ort die Chance. Es lässt sich, wie weitere regionale Spezialitäten der Erzeugergemeinschaft, online unter www.shop.besh.de bestellen.